Alte Briefe

Ein Text, der immer wieder dieselben Begriffe enthält, wirkt schnell langweilig und öde. Trotzdem ist es noch gar nicht lange her, dass Texte für das Internet mit gleichlautenden Keywords geradezu vollgestopft wurden. Denn wer auf seiner Website ein- und denselben Suchbegriff zig-fach verwendete, konnte damit gute Rankings erzielen. Das funktionierte eine Weile, heute nützt es nichts mehr, und schon deshalb sollte man sich von der Methode endgültig verabschieden.

Probleme mit Wortwiederholungen gab es jedoch schon, als Texte noch mit Gänsekiel und Tinte verfasst wurden. Nehmen wir als Beispiel den Roman „Der rote Schal“ von Wilkie Collins, der 1864 erschien. Allan Armadale, ein frisch verliebter Jüngling, schreibt darin seiner Angebeteten einen Brief, um sie zu einem Ausflug einzuladen:
„Liebe Miss Milroy, dummerweise ist mir erst nach dem Heimkommen eingefallen, dass ich Ihnen und Ihrem Herrn Vater ein Picknick vorschlagen wollte. Sie haben so lange in der Stube hocken müssen, dass ein Picknick Ihnen bestimmt gut täte. Ein Picknick ist doch mal eine Abwechslung und macht großen Spaß, besonders wenn man anständigen Wein mitnimmt. Würden Sie (…) Ihren Herrn Vater zu dem Picknick überreden? Wenn irgendwelche Bekannte von Ihnen gerne an dem Picknick teilnehmen wollen, laden Sie sie doch in meinem Namen zu dem Picknick ein (…). Es soll Ihr Picknick werden! Ich sorge nur für das Drum und dran – Kutschen Picknick-Körbe und so weiter. Bestimmen Sie bitte den Tag für das Picknick und das Ausflugsziel. (…) Mir liegt dieses Picknick sehr am Herzen.“ In aufrichtiger Verehrung, immer, Ihr Allan Armadale.“
Allan gestand sich beim Durchlesen seiner Komposition offen ein, dass der Stil etwas zu wünschen übrig ließ. „Das Wort Picknick kommt ein bisschen zu oft vor“, dachte er. „Macht nichts, wenn sie der Sache nicht grundsätzlich abgeneigt ist, wird sie daran keinen Anstoß nehmen.“

Welche Möglichkeiten hätte der junge Schreiberling nutzen können, um seinen Sprachstil zu verbessern?

Hier sind drei bewährte Methoden:

Lässt sich das Wort „Picknick“ durch sinnverwandte Begriffe ersetzen? Kaum!
Im Wiktionary steht zu „Picknick“:
Definition: ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Mahlzeit aus mitgebrachten Speisen, die im Freien zumeist gemeinschaftlich in einer Gruppe oft verbunden mit einem Ausflug eingenommen wird.
Synonyme: Keine

Natürlich könnte man den Satz „Ein Picknick ist doch mal eine Abwechslung und macht großen Spaß, besonders wenn man anständigen Wein mitnimmt.“ ändern und stattdessen schreiben: „Eine Mahlzeit aus mitgebrachten Speisen im Freien ist doch mal eine Abwechslung und macht großen Spaß, besonders wenn man anständigen Wein mitnimmt.“ Aber der Brief, der ohnehin schon ziemlich geschraubt klingt, wird dadurch nicht leserlicher.

Selbst wenn man Wortwiederholungen und ganze Sätze streicht, bleibt der Stil holprig und unausgewogen.

Hätte Allan Armadale mich um Rat gefragt, ich hätte ihn ermuntert, seinen Brief noch einmal neu zu schreiben und im Vorfeld zu überlegen:
Worauf möchte ich hinaus? Was wünsche ich mir von Miss Milroy? Wie kann ich sie von meiner Idee überzeugen?

Wahrscheinlich wäre der Brief dann viel kürzer ausgefallen, etwa so:

„Liebe Miss Milroy, ich möchte Sie und Ihre Familie gerne wiedersehen. Wie wäre es mit einem Ausflug ins Grüne? Wir könnten das schöne Wetter für ein Picknick nutzen. Entscheiden Sie, wo die Landpartie hingehen soll, ich kümmere mich um Speis und Trank. Wenn Sie noch ein paar Freunde mitbringen, macht es bestimmt noch mehr Spaß. Wann würde es Ihnen am besten passen? In aufrichtiger Verehrung, immer, Ihr Allan Armadale.“

Ob Miss Milroys Antwort deshalb anders ausgefallen wäre? Vermutlich hätte sie nicht anders reagiert als auf Allans unbeholfenes Machwerk – nämlich mit Begeisterung. Denn wer über beide Ohren verliebt ist, achtet nicht unbedingt auf Stil und Wortwiederholungen. Und macht beim Antwortschreiben sogar den gleichen Fehler:
„Ihr Briefchen war das formvollendete Meisterstück einer höheren Tochter. ‚Papa‚ fungierte darin ebenso häufig wie das Wort ‚Picknick‚ in Allans Epistel.“